Samstag, 20. Januar 2024

[REZENSION] Rote Kreuze | Roman

 
Titel: Rote Kreuze | Autor: Sasha Filipenko
Verlag: Diogenes Verlag | Seitenanzahl: 288 Seiten 
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Inhaltsangabe


Alexander ist ein junger Mann, dessen Leben brutal entzweigerissen wurde. Tatjana Alexejewna ist über neunzig und immer vergesslicher. Die alte Dame erzählt ihrem neuen Nachbarn ihre Lebensgeschichte, die das ganze russische 20. Jahrhundert mit all seinen Schrecken umspannt. Nach und nach erkennen die beiden ineinander das eigene gebrochene Herz wieder und schließen eine unerwartete Freundschaft, einen Pakt gegen das Vergessen.
(Quelle: Diogenes)


Meine Meinung


Eine Geschichte in Russland des 20. Jahrhunderts


Der Ich-Erzähler Alexander trat für mich sehr unnahbar in die Geschichte ein.
Er wirkte gebrochen und zurückgezogen von der Welt. 
Nach der ersten Begegnung mit seiner über neunzig jährigen Nachbarin Tatjana, kam er mir sogar sehr unsympathisch und weltfremd vor, aber die ältere Dame wagt weitere Schritte vor, wirkt freundlich und verwirrt zugleich und öffnet mit ihrer Lebensgeschichte nicht nur Alexanders Wohnungstür, sondern auch eine andere Tür in seinem Kopf und seinem Herzen.

"Ich würde Ihnen gerne eine unglaubliche Geschichte erzählen. Eigentlich keine Geschichte, sondern eine Biographie der Angst. Ich möchte Ihnen erzählen, wie das Grauen einen Menschen unvermittelt packt und sein ganzes Leben verändert." (S. 15)

Tatjana wurde 1910 in London geboren und verbrachte eine Kindheit ohne Mutter. 
Der Tod seiner Frau hatte ihren Vater verändert. 1920 entschloss er mit seiner kleinen Tochter und zwei Kindermädchen nach Russland zu ziehen. Die vier Reisenden waren mit einem hungernden und aufständischem Russland konfrontiert.
Aus beruflichen Gründen gab es weitere Umzüge, zum Beispiel in die Schweiz.
1929 dann ein weiterer Schicksalsschlag und die Rückkehr nach Russland.
Von da an, sieht Tatjana Moskau als ihr Zuhause an, sie studiert, findet später Arbeit im Volkskomissariat und verliebt sich.

"In ihrem Dienstzimmer herrsche ewiger Herbst, sage se gern, weil ständig Blätter auf ihren Schreibstisch segelten." (S. 36)
(Diesen Textauszug mag ich sehr gern und werde zukünftige Zettelwirtschaft auf meinem Schreibtisch einfach als Herbst deklarieren^^)

In dieser Zeit spürt man beim Lesen durchgehend eine bedrückende Atmosphäre, denn Tatjana hat sich nicht nur verliebt, hat eine Tochter geboren und hatte angesehene Arbeit. Nein, Tatjana lebte in der Zeit des Stalinismus. Eine Zeit von Verfolgungen, Säuberungen und der Zeit des "Großen Terrors". 

Die Trennung von ihrem geliebten Mann und die schwindende Hoffnung, dass er lebend aus dem Krieg bzw. der Gefangenschaft zu ihr und der gemeinsamen Tochter schwindet stets. Beim Lesen ihrer Erzählungen hatte ich recht häufig einen Kloß im Hals.
Wer sich Russland häufig als romantisch-verträumt vorstellt, wird hier eines besseren belehrt. Dieses Buch schützt vor dem Vergessen. 
Denn diese Zeit des Mordens darf nicht vergessen werden und zeigt, dass nicht nur in Deutschland viele Schrecken zur Zeit der Mitte des 20. Jahrhunderts geschehen sind. 
Auch Stalin bleibt für mich eine historische Person, die ich gerne noch näher beleuchten möchte. Auch wenn ich zugleich Angst und Gräuel empfinde, wenn ich an seine Taten und Entscheidungen denke.

Alexander als junger, alleinerziehender Vater eines Säuglings, saugt die Worte seiner dementen Nachbarin in sich auf und etwas verändert sich in ihm.

Tatjana erzählt weiter von Entscheidungen, die sie getroffen hat, die sie ein Leben lang verfolgten. Ängste, die sie nicht mehr losließen und sie erzählt von einer Suche, die sie nicht ruhen lässt und sie wünscht sich Vergebung.

"Die Menschen der Stalinzeit hatten tatsächlich eine phänomenale Fähigkeit, Risiken zu berechnen, die ihnen drohten." (S. 106)

Den Schreibstil und wie Alexander aus der Ich-Perspektive diese Geschichte erzählt, empfand ich anfänglich als anders und etwas schwer. Aber mit jeder Seite, die ich umgeblättert habe, zog mich die Lebensgeschichte dieser alten Frau in ihren Bann und ich hatte das Buch an nur zwei Tagen durchgelesen.


Fazit

"Rote Kreuze" von Sasha Filipenko war mein letztes Buch im Lesejahr 2023 und ich habe es am Silvestermorgen beendet. Wenn das letzte Buch nochmal solch einen Eindruck machen kann und mich nochmal so zum Nachdenken anregen kann, kann das Jahr 2024 doch nur gut weitergehen. Ich empfehle dieses Buch allen Lesern, die Geschichten lesen wollen, die vor dem Vergessen schützen.
Denn diese Geschichten sind so wichtig!
Weitere Meinungen zum Buch

Der Autor

Sasha Filipenko, geboren 1984 in Minsk, ist ein belarussischer Schriftsteller, der auf Russisch schreibt. Nach einer abgebrochenen klassischen Musikausbildung studierte er Literatur in St. Petersburg und arbeitete als Journalist, Drehbuchautor, Gag-Schreiber für eine Satireshow und als Fernsehmoderator. Sein Roman "Die Jagd" war ein "Spiegel"-Bestseller. Sasha Filipenko ist leidenschaftlicher Fußballfan und wohnte bis 2020 in St. Petersburg. Er musste mit seiner Familie Russland verlassen und lebt in der Schweiz.
© Lukas Lienhard/ Diogenes Verlag

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2 Kommentare:

  1. Hallo Andrea,

    danke, dass du mir dieses Buch in Erinnerung rufst. Ich hatte es schon einmal bemerkt und lobende Worte dazu gelesen. Nun setze ich es mir auf die Merkliste, obwohl es wieder Stoff ist, für den ich in der richtigen Stimmung sein muss.

    Liebe Grüße
    Nicole

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    1. Guten Morgen Nicole,
      das stimmt, immer kann ich über dieses Thema auch nicht lesen. Aber es ist ein kurzweiliges Buch, daher ging es auch zur Silvesternacht, aber das ist eh nicht mein Tag^^

      Liebe Grüße und einen schönen Start in den Donnerstag.
      Andrea

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